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Herausforderung Pflegefall – wie sich Pflege und Beruf vereinbaren lassen

Herausforderung Pflegefall –
wie sich Pflege und Beruf vereinbaren lassen

Wenn Eltern oder Angehörige zum Pflegefall werden, ist das eine Herausforderung für alle Beteiligten. Doch mit einer klugen Planung kann es gelingen, für seine Lieben da zu sein, das eigene Leben fortzuführen und gut für sich zu sorgen.

Eben noch war die alleinstehende Mutter zwar etwas wacklig, kam aber recht gut allein zurecht. Nach einem Sturz und einem Krankenhausaufenthalt ist plötzlich alles anders. Die Mutter braucht tägliche Unterstützung beim Aufstehen und Anziehen, beim Zubereiten der Mahlzeiten, Begleitung bei Arztterminen. Doch wie kann man das alles am besten organisieren, wenn man auch noch berufstätig ist?

Gerade wenn die emotionale Beziehung zwischen den Generationen eng ist, geraten Angehörige sehr leicht in Gefahr, sich beim „Marathon-Lauf Pflege“ zu überfordern. Wie man das für alle Beteiligten passende „Pflegepaket“ bastelt, Fürsorge und Beruf trotz aller Widrigkeiten vereinbart und welche Unterstützung Pflegende in Anspruch nehmen können, erklärt Sozialarbeiterin und Gerontologin Andrea Didszun in unserem Experten-Interview.

 

Experteninterview mit Andrea Didszun

Frau Didszun, wenn meine Mutter zum Pflegefall wird und ich sie gern unterstützen möchte – wie finde ich heraus, wieviel ich realistischerweise selbst übernehmen kann?    ­

Ideal wäre es natürlich, wenn Sie sich dazu vielleicht schon Gedanken gemacht haben, bevor der Pflegefall eintritt. Wenn sie mit ihrer Familie und der zu pflegenden Person bereits länger im Gespräch darüber sind, wie Sie gemeinsam die Betreuungsaufgaben verteilen möchten. Aber ganz gleich, wann Sie mit Ihren Überlegungen beginnen: Holen Sie sich möglichst auch externe Beratung dazu. Eine gute Orientierung finden Sie zum Beispiel in einer Beratung in einem Pflegestützpunkt, die in vielen Bundesländern kostenlos und unabhängig angeboten werden.

Was erfahre ich in einer solchen Beratung?

Zum einen, wie der Unterstützungsbedarf der pflegebedürftigen Person ist, welche Leistungen des sozialen Sicherungssystems ihr zustehen und welche Anträge gestellt werden können. Aber wir schauen auch grundsätzlich darauf, wie sich trotz Pflegebedürftigkeit in der Familie eine gute Lebensqualität für alle erreichen lässt.

Es geht um die Bedürfnisse und Wünsche der zu pflegenden Person. Aber auch, was sich die Angehörigen vorstellen, was sie leisten können und wollen.

Unsere gemeinsame Aufgabe ist dabei, realistisch zu prüfen: Was davon geht wirklich? Wo sind die praktischen und die emotionalen Grenzen, wo gibt es Erwartungen, die gar nicht oder nur über kürzere Zeiträume erfüllbar sind? Wenn ich zum Beispiel im Schichtdienst arbeite, werde ich es einfach nicht schaffen, mich jeden Morgen um meine Mutter zu kümmern und ihr beim Aufstehen zu helfen. Auch wenn ich das gern möchte. Da hilft ein Realitätscheck schnell, Idealvorstellungen zu verwerfen und nach guten Alternativen zu suchen. Zum Beispiel morgens einen ambulanten Pflegedienst einzubinden.

4,1 Mio.

Menschen werden derzeit häuslich gepflegt

2,55 Mio. 

Werden ausschließlich durch Angehörige gepflegt

Worauf gilt es zu achten, wenn ich meinen Job für die Pflege eines Angehörigen reduzieren möchte?

Zunächst ist es wichtig zu wissen, dass es, anders als bei der Erziehung von kleinen Kindern, für Pflegezeiten bisher keine Lohnersatzleistungen gibt. Es besteht nur die Möglichkeit, Einkommensausfälle in der Pflegezeit oder Familienpflegezeit über ein Darlehen zu überbrücken – und das muss natürlich später zurückgezahlt werden. Für Menschen, die auf das Geld angewiesen sind, ist das keine wirkliche Unterstützung. Das Pflegegeld, das Pflegebedürftige von der Pflegekasse erhalten und das abhängig vom Pflegegrad 316 bis 901 Euro monatlich betragen kann, wird von ihnen zwar öfter an ihre Pflegeperson weitergereicht. Es ist aber zu niedrig, um Verdienstausfälle wirklich kompensieren zu können und ist auch nicht dafür gedacht.  Es kann lediglich eine kleine Stundenreduzierung abfedern und wenn man dann noch teilweise professionelle Hilfe einbinden muss, schmilzt der Betrag schnell zusätzlich zusammen.

Wer für die Pflege Stunden reduziert oder ganz die Arbeit niederlegt, muss somit schauen, wie er die Lebenshaltungskosten stemmt und seine soziale Absicherung aufrechterhält. Und aus dem Beratungsalltag weiß ich: Die meisten können sich dauerhafte Einbußen schlicht nicht leisten und organisieren deshalb die Pflege Ihrer Angehörigen irgendwie um ihren bisherigen Alltag herum.

Soweit für Beschäftigte der § 11 TVöD Anwendung findet und ein ärztliches Gutachten die Pflegebedürftigkeit von Angehörigen bestätigt, kann für deren Pflege eine Teilzeitbeschäftigung bis zu fünf Jahren beantragt werden. Dieser Antrag soll vom Arbeitgeber bewilligt werden, sofern keine dringlichen dienstlichen Belange entgegenstehen.

Aus der Pflegetätigkeit werden derzeit keine Beiträge in die betriebliche Altersversorgung der BVK Zusatzversorgung entrichtet.

Welche Ansprüche ergeben sich denn für mich als Angehörige aus den Gesetzen zur Pflege- und zur Familienpflegezeit?

Der wichtigste Anspruch ist die sogenannte kurzzeitige Arbeitsverhinderung. Wenn Angehörige plötzlich Pflege übernehmen oder organisieren müssen, können Sie als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte maximal 10 Arbeitstage ihrer Arbeit fernbleiben, einmalig pro Pflegebedürftigen. Dafür gibt es von der Pflegekasse eine Lohnersatzleistung, das sogenannte Pflegeunterstützungsgeld, mit dem bis zu 90 Prozent des Netto-Gehaltes ersetzt werden.

Dann gibt es die sogenannte Pflegezeit. Das sind bis zu maximal 6 Monate, in denen ich mich teilweise oder komplett von meinem Arbeitgeber freistellen lassen kann, um einen pflegebedürftigen Angehörigen zu betreuen. Die Bedingung dafür ist: dass ich angestellt bin und mein Arbeitgeber mehr als 15 Beschäftigte hat. Und dann gibt es noch die Familien-Pflegezeit – bis zu zwei Jahre lang. Hier habe ich die Möglichkeit, meine Beschäftigung zu reduzieren, muss aber mindestens 15 Stunden in der Woche arbeiten. Rechtsanspruch auf Familien-Pflegezeit habe ich nur, wenn mein Arbeitgeber mehr als 25 Beschäftigte hat. In beiden Fällen gibt es zwar einen Kündigungsschutz für meinen ursprünglichen Arbeitsplatz, aber keinen Entgeltersatz.

Angenommen, ich kann das finanziell irgendwie stemmen und möchte einige Stunden reduzieren: Dann sind zwei Jahre natürlich auch nicht sehr lang.

Sehr richtig. Durchschnittliche Pflegezeiten können sechs und mehr Jahre umfassen, das decken diese Regelungen nur zu einem gewissen Teil ab.

Deshalb ist für pflegende Angehörige auch die Brückenteilzeit eine interessante Option. Sie gilt aber erst in Unternehmen ab 46 Mitarbeitern.

Hier habe ich als Arbeitnehmende das Recht, für maximal fünf Jahre meine Arbeitszeit zu verkürzen, zum Beispiel von 40 auf 20 oder 30 Stunden, und danach wieder zu der ursprünglichen Stundenzahl zurückzukehren.

In den Zeiten des Fachkräftemangels klingen diese Regelungen nicht mehr wirklich bahnbrechend.

Diese Rechtsansprüche stammen tatsächlich aus einer Zeit, als man es oft schwer hatte, wieder aus der Teilzeit-Falle herauszukommen oder überhaupt einen Job zu finden. Das ist inzwischen zum Glück oft anders. Viele Betriebe haben das Thema Pflege inzwischen aktiv auf dem Schirm – auch weil sie Mitarbeiter halten möchten – und bieten weitere Möglichkeiten, um zu flexiblen Lösungen zu kommen. Hier lohnt es sich unbedingt, zunächst beim Familienbüro, dem Betriebs- oder Personalrat nachzufragen, welche Betriebsvereinbarungen es zum Thema bereits gibt. Wenn das Betriebsklima gut ist, würde ich unbedingt dazu raten, offen zu legen, dass ich mich zu Hause um eine pflegebedürftige Person kümmere.

So wie es in einem Unternehmen inzwischen üblich ist zu sagen: ich habe ein kleines Kind in der Kita, kann Verständnis und Flexibilität wachsen, wenn alle wissen, warum der pflegende Angehörige so pünktlich gehen muss.

Die Trends zu flexiblen Arbeitszeiten und Homeoffice sind hier natürlich eine sehr große Unterstützung. Insgesamt ist diese Enttabuisierung sehr wichtig, denn irgendwann wird zukünftig so gut wie jeder in unserer alternden Gesellschaft mit dem Thema Pflege zu tun haben.

Wie schütze ich mich als pflegende Angehörige vor Überforderung und negativen gesundheitlichen Folgen?

Indem Sie persönliche Grenzen akzeptieren und sich Hilfe holen. Viele laden sich anfangs zu viel auf und unterschätzen die Belastungen, die sich zum Beispiel allein aus dem bürokratischen Aufwand ergeben. Machen Sie sich klar, dass Ihr Wohlergehen genauso zählt wie das Ihres zu pflegenden Angehörigen.

Neben Ihrer Existenzsicherung sollte auch noch Raum bleiben für Hobbies, Freunde, Entspannungsübungen und Sport. Nur so bleiben Sie stark.

Außerdem sollten Sie unbedingt das reichhaltige Angebot der Selbsthilfegruppen für pflegende Angehörige nutzen. Hier finden Sie sehr viel Inspiration und Hilfestellungen und erfahren, wie andere das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Pflege lösen.

Außerdem gibt es für pflegende Angehörige die Möglichkeit einer Vorsorgekur, ähnlich der Mütter- und Väterkur. Diese Auszeit sollte man auf jeden Fall in Anspruch nehmen, und zwar bevor der Rücken schmerzt, der Kopf drückt oder die Stimmung sinkt. Auch hier erhalten Sie Impulse zur Selbstfürsorge, lernen Strategien, um Pflege gut zu meistern. Vielleicht ist so eine Kur aber auch der Punkt, wo Sie irgendwann sagen: Jetzt ist Schluss. Ich kümmere mich gern noch um Mutter, indem ich Kaffee trinken gehe und regelmäßig für ein Gespräch zur Verfügung stehe, vielleicht noch den Papierkram erledige. Aber die Pflege müssen jetzt andere übernehmen. Auch das kann eine gute und sehr richtige Entscheidung sein.

Rentenversicherungsansprüche für pflegende Angehörige

Wenn Sie einen Verwandten mindestens zehn Stunden wöchentlich pflegen, höchstens 30 Stunden pro Woche erwerbstätig sind und mindestens Pflegegrad 2 besteht, zahlt die Pflegeversicherung während der Pflegephase Beiträge für die gesetzliche Rentenversicherung für Sie. Mehr Informationen bei der Deutschen Rentenversicherung.

LESETIPP!

Die Eltern im Alter begleiten.

(Markus Deggerich, Susanne Weingarten)

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